By - - Kommentare deaktiviert für Woher kommt die Angst vor Weizen?

Römerstein – Das perfekte Brot besteht aus Flohsamenschalen, Mandelmehl und Leinsamen. Zumindest laut Online-Händlern von Fitnessernährung, die Backmischungen für «Protein Bread» oder «Low Carb»-Brot vertreiben.

So ein Eiweißbrot erlaube Genuss ohne schlechtes Gewissen, bewirbt etwa einer der Anbieter sein Produkt. Es sei geeignet für Diäten und wegen seiner Nährwerte besser als Weizenbrot.

Macht Weizenbrot dick?

Der Ruf der gewöhnlichen Stulle hat gelitten – zumindest unter Figurbewussten. Vertreter der «Low Carb»-Ernährung haben das konventionelle Weizenmischbrot wegen seiner vermeintlich dickmachenden Kohlenhydrate für tabu erklärt. Zumindest im Ansatz haben sie damit dem Stuttgarter Ernährungsberater Sven Bach zufolge nicht unrecht. «Zwei Marmeladenbrote zum Frühstück, Brot als Pausensnack, mittags Nudeln aus Weizen, später ein süßes Stückle aus Weizen, zum Abendessen wieder Brot – das ist zu viel.»

Also Finger weg vom Teufelszeug Weizenbrot? Der Diätassistent verneint: «Brot macht nicht fett oder dumm. Rennen Sie vor dem Brot nicht davon, auch nicht vor dem Weizenbrot!» Bei Essgewohnheiten wie den obigen rät er allerdings, die Hälfte der vertilgten Brotmenge durch Gemüse oder Salat zu ersetzen – und die Scheibe Käse trotzdem zu verzehren. Nur 40 Prozent des täglichen Speiseplans sollten seinen Angaben nach aus Kohlenhydraten bestehen, weitere 40 aus Fett und 20 Prozent aus Proteinen.

Zu viel Zucker in der Ernährung sei für eine Fülle von Erkrankungen wie Diabetes oder Herzinfarkte verantwortlich, sagt Stefan Kabisch vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung – und aus Zucker seien sämtliche Kohlenhydrate zusammengesetzt. Sobald man das den Leuten erkläre, tauchten automatisch alle Kohlenhydratquellen wie eben auch gewöhnliches Brot auf deren Liste der angeblich giftigen Ernährung auf. Für «völlig übertrieben» hält das der Mediziner.

Worin unterscheiden sich die Getreidesorten?

Sogenannte Proteinbrote sind ihm zufolge ernährungswissenschaftlich bisher kaum erforscht. Kabisch hält sie aber immerhin für eine Option, wenn Menschen sich weniger kohlenhydratreich ernähren, aber an ihren Gewohnheiten festhalten wollen. Die Gretchenfrage beim Brotkonsum heißt für den Studienarzt ohnehin nicht: Weizen oder nicht Weizen? Entscheidend ist für ihn, ob ein Laib aus Vollkorn- oder Weißmehl gebacken ist. Während ersteres reichlich Ballaststoffe enthalte und lange sättige, lasse letzteres den Zuckerspiegel rasch «superhoch» ansteigen und wieder abfallen.

Doch Weizenbackwaren haben nicht nur aus Gründen der Körperoptimierung an Popularität eingebüßt. Zum vermeintlichen Problembestandteil wird zunehmend das enthaltene Gluten, ein Klebereiweiß, erklärt. «Fakt ist: Ohne Gluten geht’s den meisten besser», heißt es beispielsweise im Rezept für ein glutenfreies Low-Carb-Brot auf der Homepage einer Sportzeitschrift. Für Kabisch ist das allerdings alles andere als Fakt: «95 Prozent der Normalbevölkerung können problemlos Gluten essen. Aber eine riesige Menge von vor allem jungen Leuten glaubt, das sei für alle schädlich.»

Das spürt auch das Handwerk. «Bäcker berichten verzweifelt, dass ihnen Leute erzählen, sie vertragen kein Weizenbrot mehr – Dinkel aber könnten sie essen», sagt Agrarbiologe Friedrich Longin. Migräne oder Magen-Darm-Probleme werden als Beschwerden genannt. Einen wissenschaftlichen Beleg für die schlechtere Bekömmlichkeit von Weizen gegenüber anderen Getreidesorten gebe es aber nicht.

Welche Rolle spielen die Backmethoden?

Longin ist Leiter der Weizenforschung an der Universität Hohenheim. Gemeinsam mit Bäcker Heiner Beck und Müller Hermann Gütler will er das Weizenbrot entmystifizieren. Forscher und Handwerker hatten sich deshalb in Becks Refugium in Römerstein (Kreis Reutlingen) zu einem «Backmarathon» getroffen. In drei Tagen backten sie 42 Brotvarianten – mit Weizensorten aus ökologischem und konventionellem Anbau, mit weniger oder mehr Stickstoffdünger.

Neben den Zutaten ging es aber auch um die Zubereitung. Bei der einen Hälfte schoben die Marathonbäcker die Teige knapp zwei Stunden nach dem Ansetzen in den Ofen – wie bei den meisten Bäckern und industriellen Herstellern heute üblich. Die andere Hälfte der Teige durfte 24 Stunden lang gehen. Longin zufolge wirkt sich diese traditionelle Vorgehensweise möglicherweise positiv auf die Bekömmlichkeit des Weizenbrots aus, weil sich bestimmte Stoffe verändern oder halbieren, wenn der Teig ein wenig Zeit bekommt. Zum Abschluss des Backmarathons stand die Verkostung der Brote an – es folgen weitere Untersuchungen im Labor.

Bernd Kütscher vom Deutschen Brotinstitut indes schreckt die bei manchen grassierende Weizenangst kaum. Die basiere nämlich nicht auf wissenschaftlichen Grundlagen, sondern auf bewusst polarisierenden Büchern und Berichten. Deren Ziel sei nicht sachliche Information, sondern Auflage. Einen Imagewandel des Brots bemerkt er aber durchaus – zum Positiven: Seinen Angaben nach achten die Menschen verstärkt auf den Genusswert des «Lebensmittels Nummer 1» oder informieren sich bei Events von Brotsommeliers. «Der Wert des Brotes steigt enorm», sagt Kütscher.

Fotocredits: Lino Mirgeler
(dpa)

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