By - - Kommentare deaktiviert für Es raucht, stinkt, duftet: Wo Parfum-Flakons herkommen

Tettau (dpa) – Es riecht nach Asche, und auch ein bisschen nach Gas. Die Luft schwirrt vor Hitze, 40 bis 60 Grad hat es hier. Dröhnender Lärm. All das – für einen Hauch. Einen Hauch von Duft, aus einem Parfum-Flakon.

Hier, in einer Glashütte in der oberfränkischen Provinz, entstehen Flaschen, die Luxus und Verführung bedeuten. Weltweit gibt es nur wenige Firmen in dieser Branche, die immer schnelllebiger wird – und anspruchsvoller.

«Unsere Kunden versuchen, immer noch ausgefallenere Flakons zu haben», sagt Ruth Haußner, Sprecherin von
Heinz Glas in Kleintettau, einem von nur zwei Kosmetikglas-Produzenten in Deutschland. Sie steht vor einer Vitrine: einige klassische Formen gibt es und viele verschnörkelte, bunt oder in Metall-Look, mit Glitter oder Flügel.

Eine Putzmittelflasche, in der Hand einer Frau mit laszivem Blick? Fast. Ein Parfum-Flakon, in Form einer Sprühflasche wie aus dem Putzschrank. Eine Idee von Moschino, aus dem Jahr 2015. «Fresh» heißt der Duft. «Es gibt jedes Jahr Besonderheiten, weil man sich von der Masse abheben will», sagt Martin Ruppmann vom
Kosmetikverband VKE.

Jedes Jahr kommen rund 250 neue Damen- und 100 neue Herrendüfte auf den Markt. Das zwingt auch die Flakon-Hersteller zur Weiterentwicklung. «Der Innovationsdruck ist sehr hoch», sagt Haußner. Seit 1622 ist Heinz Glas ein Familienunternehmen, seit 1661 sitzt es in Tettau. Heute gehört die Firma Carl-August Heinz und seiner Tochter Carletta, in zwölfter Generation. Die Firma versucht, ausgefallenen Wünschen noch einen Schritt voraus zu sein. «Dann können wir etwas bieten, was die Kunden noch gar nicht kennen», sagt Haußner. Zum Beispiel mit Laser ins Glas eingeprägte Reliefs, die Naturprodukten ähneln: Holz, Schiefer oder Leder, farbig bedruckt.

Mit Parfums wurden 2015 laut Verband VKE in Deutschland 2,1 Milliarden Euro Umsatz gemacht. Der Lebenszyklus einzelner Produkte werde dabei immer kürzer, sagt Haußner. Dauerbrenner seien selten, dafür gebe es häufig neu designte Ableger von Parfums. Heinz Glas machte mit seinen Glasbehältern zum Beispiel für Nivea, Bulgari, Dior, Yves Saint Laurent oder Procter and Gamble rund 290 Millionen Euro Umsatz. Der Trend ist eher stagnierend, die Firma hat weltweit etwa 3000 Mitarbeiter. Vor zehn Jahren waren es halb so viele.

Etwa 500 000 Flakons und Cremetiegel täglich stellt das Unternehmen allein am Standort Kleintettau, einem Teil von Tettau, in Oberfranken her. Weitere Standorte hat die Gruppe in Deutschland, Peru und Polen, gerade baut sie ein Werk in Indien. Dort produziert auch der einzige deutsche Konkurrent – der in Deutschland nur zwei Kilometer entfernt von Heinz Glas Flakons herstellt: Gerresheimer.

«Man kennt sich hier», sagt Haußner. «Es gibt Familien, in denen manche bei uns arbeiten und manche bei Gerresheimer. Und wir haben dieselben Kunden.» Manche ließen zum Beispiel den 75-ml-Flakon hier herstellen, den 100-ml-Flakon dort, zudem produzierten die Firmen zum Teil für unterschiedliche Qualitätssegmente.

Gerade das schützt sie offenbar vor dem Druck durch Konkurrenz aus China. Dort werden einfache Flakons für Billigdüfte produziert. Doch die Kunden legten immer mehr Wert auf Individualisierung, sagt Bernd Stauch, Verkaufsdirektor für das Kosmetiksegment bei Gerresheimer. Da lohnt sich in Deutschland das Know-How von Firmen noch, die sich auch auf Formenbau und Formenwechsel für individuelle Kundenwünsche spezialisiert haben – wie die zwei Hersteller in Tettau.

Das Gebiet ist eine Glasregion, schon immer gewesen. Der Wald von Oberfranken und Südthüringen lieferte vor Jahrhunderten den Rohstoff, der nötig war für die Öfen. Wie auch im Bayerischen Wald. Nur spezialisierte Flakon-Hersteller gibt es da nicht, und auch die europäische Konkurrenz ist begrenzt. In Österreich gibt es Stölzle, in Italien Bormioli und Zignago Vetro, in Frankreich SGD und Pochet.

«Das Kosmetikgeschäft läuft für uns sehr gut», sagt Stauch. Die börsennotierte
Gerresheimer-Gruppe produziert – zum Beispiel eben in Indien – auch für die Pharmaindustrie, Insulin-Pens etwa, und machte im vergangenen Jahr einen Umsatz von rund 1,4 Milliarden Euro. Der Kosmetikbereich brachte immerhin elf Prozent davon ein.

Eines aber macht der Branche zu schaffen: Glasschmelzen braucht viel Energie. «Wir müssen mithalten mit Unternehmen, die in ihren Ländern mit Atomstrom günstig produzieren können», sagt Haußner. Heinz Glas versucht daraus einen Wettbewerbsvorteil zu ziehen. In Kleintettau wird ohne Atomstrom und Gas geschmolzen; der Strom kommt CO2-neutral aus Wasserenergie. «Ökologische Produktion ist einigen Kunden sehr wichtig. Da sind wir weiter als zum Beispiel Frankreich.»

Nur: Das Waldgebiet lieferte früher nicht nur Holz zum Befeuern. Es liegt auch abgelegen – noch heute. Das ist für Unternehmen ein Problem. Die Anbindung ans Werk in Kleintettau ist so schlecht, dass die Firma den Mitarbeitern Fahrgemeinschaften organisiert, zur Not extra Fahrer. Die Leute ziehen hier eher fort. Das macht es schwierig, Nachwuchs zu finden.

Die gesamte Glasindustrie sucht Azubis, und bei Heinz Glas ist das Problem oft nicht einmal, dass es zu schlechte Bewerber gebe. Sondern gar keine. Auch, sagt Haußner, weil kaum einer die Berufe kenne: Verfahrensmechaniker für Glastechnik zum Beispiel.

Gerresheimer setzt da auf die Tradition: «Wir haben schon immer für den eigenen Bedarf ausgebildet, und das Wissen wurde immer von den Senioren an die Junioren weitergegeben», sagt Stauch. Dabei müssen die Flakon-Macher dann – in der Hitze, im Lärm – mithalten, wenn die Mode den immer neuen Vorstellungen von Luxus und Verführung folgt: Parfums als Handtaschen, Goldbarren oder Ritter-Rüstung.








Fotocredits: Nicolas Armer,Nicolas Armer,Nicolas Armer,Nicolas Armer,Nicolas Armer,Nicolas Armer,Nicolas Armer,Nicolas Armer

(dpa)